Im Mittelpunkt der 9. ProcessLab-Konferenz stand das wohl meist diskutierte Thema des Jahres – die Digitalisierung in der Finanzbranche. Konkret ging es um die Frage, ob und wie die Digitalisierung Geschäftsprozesse ermöglicht, die vorher noch gar nicht vorhanden waren oder die nun völlig anders gestaltet werden können. Insbesondere ermöglicht die Digitalisierung den Schritt von der traditionellen Prozessverbesserung hin zu der immer dringender werdenden Prozessinnovation.
Mit 190 Teilnehmern war die Konferenz bis auf den letzten Platz ausgebucht. Ein großes Spektrum von Vorträgen bot den Besuchern die Möglichkeit, sich von Referenten aus Praxis und Wissenschaft inspirieren zu lassen, das Thema zu diskutieren und sich mit anderen Besuchern auszutauschen.
Prof. Dr. Jürgen Moormann, der die Konferenz leitete, eröffnete die Veranstaltung mit einer Einordnung der zentralen Begriffe und einem Überblick zur Struktur der Konferenz.
Digitalisierung bei großen Finanzdienstleistern
Einen Ansatz, wie die Deutsche Bank mit der Digitalisierung umgeht, skizzierte Anja Wickert, Head of NEXT@Plattform. Sie erläuterte die Zielsetzung, Gestaltung und Durchführung des Projekts NEXT, dass zu einer (modularen) Produkt-, Prozess- und IT-Plattform im Retailgeschäft führen soll. Anhand von fünf Kernthesen zeigte sie das breite Spektrum von Aktivitäten, um die Digitalisierung der Retailbank zu erreichen. Zudem betonte Frau Wickert, dass eine solche Transformation nicht als temporäres Projekt zu betrachten ist. Vielmehr ist eine dauerhafte Veränderung hin zu einer innovativen Unternehmenskultur erforderlich.
Beim Vortrag von Roman Vornholt, Leiter Operations der Wüstenrot Bausparkasse, stand dagegen die Digitalisierung großer Prozesse im Vordergrund. Der Sprecher zeigte am Beispiel des Prozesses zur Abwicklung nicht dinglicher Darlehen, wie vollständige Automatisierung, vom Front-End bis zum Back-End, erreicht werden kann. Die Digitalisierung betrifft jedoch nicht nur den Kunden, sondern auch die Mitarbeiter im Unternehmen, da sich deren Arbeitsalltag verändert. Die Implementierung eines vollautomatisierten Prozesses ist ein emotionales Thema, so Herr Vornholt, da der Prozess nun vollständig von Systemen übernommen wird.
Analyse von Kundendaten eröffnet neue Möglichkeiten
Salvatore Pennino, Industry Head of Financial Services bei Google Germany, gab einen Einblick, wie verschiedenste Datenquellen genutzt werden können, um die "Customer Journey" zu untersuchen. Im digitalen Zeitalter gehe es dem Kunden nicht allein um die Produkte, sondern darum, wie der Service erbracht werde. Durch Messung von Verhaltensmustern können die Bedürfnisse und Serviceanforderungen der Kunden abgeleitet und sogar prognostiziert werden. Produkte und Dienstleistungen können dann kundenspezifisch erstellt werden.
Der Kunde muss Ausgangspunkt aller neugestalteten, digitalen Prozesse sein. Elisabeth Palvölgyi, Doktorandin am ProcessLab der Frankfurt School, stellte dazu Ergebnisse ihres Forschungsprojekts vor. Sie zeigte, wie eine systematische Analyse von Kundenprozessen neue Möglichkeiten zur Prozess- und Service-Innovation eröffnet. Aufgrund einer solchen Analyse kann die Customer Journey für den Kunden einfacher und schneller gestaltet werden. Frau Palvölgyi betonte, wie wichtig es sei, den Weg des Kunden umfassend zu betrachten und sich nicht nur auf die (produktbezogene) Interaktion mit dem jeweiligen Finanzdienstleister zu beschränken.
Andreas Freitag, Bereichsleiter Unternehmenssteuerung der 1822direkt, zeigte, wie ein bestehender Prozess digitalisiert werden kann. Dazu ging er mit dem Publikum durch alle Schritte – einschließlich der vielen Abbruchpotenziale – des Kontoeröffnungsprozesses. Insbesondere erläuterte Herr Freitag, wie das Prozessteil "Postident-Verfahren" digitalisiert und durch eine Video-Legitimation ersetzt wurde. Dabei wurden auch die entstehenden Probleme sowie die Auswirkungen auf das Back-Office deutlich.
Digitalisierung revolutioniert das klassische Innovationsmanagement
Tobias Ehret, Mitglied des Executive Committee Direktbank, berichtete, wie die Deutsche Postbank durch ein Ideenlabor den Pioniergeist ihrer Mitarbeiter unterstützt und somit die Entstehung innovativer Ideen fördert. Zwar verfügen Banken über das Vertrauen von Konsumenten, etablierte Markennamen und bestehende Kundenstämme, aber sie müssen schneller werden. Dazu sollten die Banken die kreativen Energien sowie die "Hands-on Mentalität" von den FinTechs übernehmen.
Fallstudie mBank: Die DNA einer digitalen Bank
Die mBank wird zurzeit als "the most digital-driven bank in the world" beschrieben (z.B. Forrester Research). Lukasz Opoka, Deputy Director of Direct Channels Development der polnischen mBank S.A. (inzwischen Senior Project Manager for Digital Channels Development in der Commerzbank), erläuterte in einem begeisternden Vortrag die Gründe. Die mBank basiert seit ihrer Gründung auf innovativem Denken - Innovation durch Digitalisierung steckt somit in der DNA der Bank. Anhand Praxisbeispielen demonstrierte Herr Opoka, wie einfach und flexibel die digitalen Services der Bank sind. U.a. spielte er live eine Fondseröffnung per Video Chat mit einer Kundenberaterin in Warschau durch und zeigte das Erstellen eines Kreditantrags per Handy – der Betrag wurde in Minutenschnelle auf dem Konto gutgeschrieben.
Große Herausforderung: Schaffung des Digital Mindset
Die Keynote, ein Highlight der Konferenz, wurde von Prof. Dr. Rosemann, Head der Information Systems School der Queensland University of Technology in Brisbane, Australien, gehalten. Prof. Rosemann gab einen höchst anregenden Ausblick auf die Gestaltungsmöglichkeiten durch die Digitalisierung in unserem Arbeitsalltag. Dazu arbeitete er zunächst den Unterschied zwischen purer Automatisierung und disruptiven Innovationen durch Digitalisierung heraus. Letztere werden durch ein sogenanntes "Digital Mindset" ermöglicht. Dieses Mindset ermöglicht es Unternehmen, die Chancen der Digitalisierung zu begreifen und erfolgreich umzusetzen und sie somit zu "Digital Natives" werden zu lassen. Prof. Rosemann zeigte dazu eine Vielzahl von Ansätzen, u.a. den Aufbau von Social Communities für Banken, um mit den Kunden in Kontakt zu bleiben und Produkt- und Serviceideen direkt aus der Community ableiten zu können.
Fazit: Prozessinnovation durch Digitalisierung eröffnet große Chancen
Prof. Moormann schloss den Konferenztag mit einer kurzen Zusammenfassung der wichtigsten Aspekte des Tages: Im Bankensektor passiert bereits viel – aber im Vergleich zum Ausland und zu anderen Branchen viel zu langsam. Insbesondere fehlt es meist am "Digital Mindset" des Managements ebenso der Mitarbeiter. Vielversprechende Ansätze wie das Ideenlabor der Postbank, die den Pioniergeist ihrer Mitarbeiter gezielt ansprechen, laufen dann ins Leere. Die Banken und Versicherungsunternehmen müssen die Chancen der Digitalisierung nutzen. Sie ermöglicht die Ausrichtung auf die Prozesse der Kunden, so wie es die FinTechs heute schon tun. Prozesse werden in der Zukunft hochgradig digital sein. Darüber hinaus wird der Fokus zukünftig auf "mobile" liegen, d.h. alle Prozesse werden auf jederzeitige und ortsunabhängige Verfügbarkeit ausgelegt sein. Der Umbau von Finanzdienstleistern von analogen zu "digitalen Organisationen" ist damit eine große und notwendige Aufgabe.
Login
zum Download der Vorträge: |
|
|
|
|
Das Programm der 9. ProcessLab-Konferenz können Sie hier als PDF herunterladen:
Download PDF |
An der Konferenz wirkten u.a. mit: |
|
Anja Wickert, Head of Next@Plattform, Deutsche Bank Privat- und Firmenkunden AG |
|
Roman Vornholt, Leiter Operations, Wüstenrot Bausparkasse AG |
|
Tobias Ehret, Mitglied Executive Committee Direktbank, Deutsche Postbank AG |
|
Elisabeth Palvölgyi, ProcessLab, Frankfurt School of Finance & Management |
|
Andreas Freitag, Bereichsleiter Unternehmenssteuerung, 1822direkt |
|
Lukasz Opoka, Deputy Director of Direct Channels Development, mBank S.A., Warschau, Polen |
|
Prof. Dr. Michael Rosemann, Queensland University of Technology, Brisbane, Australien |
|
Leitung und Moderation: Prof. Dr. Jürgen Moormann, Frankfurt School of Finance & Management |
|
|
Die
Fachkonferenz richtete sich an: |
|
Führungskräfte und Mitarbeiter aus allen Banken und Sparkassen, Versicherungsunternehmen und anderen Unternehmen der Finanzbranche |
|
Mitarbeiter aus Stab, Organisation, Prozessmanagement, Qualitätsmanagement und IT |
|
Mitarbeiter, die sich mit Innovationen und Digitalisierung beschäftigen |
|
Assistenten der Geschäftsleitung |
|
Führungskräfte und Mitarbeiter aus Beratungs- und Softwarehäusern |
|
|
Das ProcessLab ist ein Forschungscenter der Frankfurt School of
Finance & Management. In dem Center werden auf Basis wissenschaftlicher Methoden praxisrelevante Fragestellungen des Prozessmanagements in der Finanzbranche untersucht und Lösungsvorschläge erarbeitet. Die Arbeit am ProcessLab erfolgt in enger Kooperation mit Unternehmen der Branche. Weitere Informationen zum ProcessLab finden Sie in unserer ProcessLab-Broschüre und unter www.processlab.info.
|
|
|